In die Heimat der Ahnen
Hunderte wollen kommen: Nachfahren der der Gerolzhöfer Siedler aus dem rumänischen Sanktmartin feiern ihre Kirchweih in Gerolzhofen
- Die Tracht von Sanktmartin: 35 Paare, die sie zu festlichen Anlässen tragen, wollen zum Treffen der Sanktmartiner nach Gerolzhofen kommen.
Foto: Bernhard Fackelmann
- Die Kirche von Sanktmartin: Schon 1750, 26 Jahre nach der Wiederbesiedlung, hatte Sanktmartin den Status einer selbstständigen Pfarrei. Nach der Auswanderung aus der alten Heimat feiern die Sanktmartiner ihre Kirchweih erstmals in Gerolzhofen.
Foto: Bernhard Fackelmann
- Bernhard Fackelmann: Er organisiert das Kirchweihtreffen der Sanktmartiner, im Bild rechts bei der Übergabe seiner gedruckten Recherchen an Patenschaftsbeauftragte Hannelore Hippeli, den Elek-Verantwortlichen Siegfried Brendel und Bürgermeisterin Irmgard Krammer.
Foto: Norbert Finster
Vor knapp einem Jahr kam es ans Licht. Für historisch Interessierte war es eine kleine Sensation, denn niemand wusste vorher davon. Die Auswandererwelle aus Gerolzhofen und Umgebung hat nicht nur zur Wiederbesiedlung der ungarischen Gemeinde Elek geführt, sondern auch das heute in Rumänien liegende Dorf mit dem ungarischen Namen Szent Marton (deutsch Sanktmartin, heute rumänisch Sinmartin) maßgeblich wiederbegründet.
Das haben rund zehn Jahre dauernde Recherchen des Münchner Kaufmanns Bernhard Fackelmann ergeben. Der heute 62-Jährige lebte selbst bis 1980 in Sanktmartin. Nun will er dafür sorgen, dass viele Sanktmartiner an ihre Wurzeln zurückkehren können. Am 21. und 22. September sollen Hunderte von den in alle Welt verstreuten Bürgern in Gerolzhofen zusammenkommen, um hier nach alter Tradition Kirchweih zu feiern.
Gerolzhofen ist die Stadt, aus der sich am 20. Mai 1724 rund 380 Familien aus Franken, darunter 66 Gerolzhöfer, nach einem Abschiedsgottesdienst auf dem Marktplatz Richtung Ungarn in Bewegung setzten.
Dort lockte ein gewisser Johann Baron Georg Harruckern (1664 bis 1742) als Versorgungsoberstatthalter für den Raum Gyula/Arad mit Land. Das hatte er vom römisch-deutschen Kaiser Karl IV (Regentschaft von 1711 bis 1740) auf seine Bitten hin an Stelle von Geld für seine Dienste erhalten. Er bekam die Grundherrschaft für Gyula, die er um die Puszta Szt. Marton, Tamasz, Elek und Pel ergänzte.
Als die Siedler im heutigen Südosten Ungarns ankamen, da begegnete ihnen alles andere als das gelobte Land. Vielmehr trafen sie eine fast apokalyptisch anmutende Szenerie. Nach den Türkenkriegen war der Raum um Gyula fast menschenleer. Das Gebiet war völlig verödet, versumpft, schlichtweg lebensfeindlich. Das Trinkwasser war eine Brutstätte für Cholera-Erreger und Flöhe, und Ratten verbreiteten die Pest. Es gab weder Handel noch Gewerbe.
Warum Harruckern ausgerechnet in Franken mit Versprechen von Land für die Wiederbesiedlung dieser Region warb, konnte Fackelmann trotz intensiver Recherchen nicht herausfinden. Jedenfalls galt auch für die Franken der alte Siedlersatz: „Den ersten der Tod, den zweiten die Not, erst die Enkel finden das Brot.“
Die deutschen Siedler hielten sich nach vielen Opfern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in Sanktmartin, bevor sie mehr oder weniger freiwillig wieder gingen. „Von Elek, das ungefähr sieben Kilometer entfernt liegt, haben wir immer nur die Kirchturmspitze gesehen“, erinnert sich Bernhard Fackelmann bei einem Besuch in Gerolzhofen an die Zeit im rumänischen Sinmartin. Kein Wunder, dass sich Eleker und Sanktmartiner nicht besuchen konnten, denn zwischen den einstigen sozialistischen Bruderstaaten Ungarn und Rumänien lag eine Grenze, die fast so stark ausgebaut und bewacht war wie die innerdeutsche.
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts beschleunigte sich der Exodus der deutschen Bewohner nach dem Zweiten Weltkrieg. Der rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu ließ sich die Ausreise nach Deutschland gut bezahlen. 1991 – im Zuge der Wende – verließen dann bis auf ein paar Alte alle deutschstämmigen Bewohner das Dorf. Sie gingen überwiegend wieder dahin, wo ihre Vorfahren herkamen – nach Deutschland. „Die Bundesrepublik war für uns so etwas wie das gelobte Land“, erzählt Fackelmann.
Den überstürzten Aufbruch bewertet Fackelmann aus heutiger Sicht als Fehler. „Wir haben alles zurückgelassen, unsere Häuser, unsere Kleider, unsere Tracht. Daran haben wir nicht gedacht.“ So ist es gekommen, dass in Sanktmartin heute 40 Prozent aller Häuser leerstehen.
Nun soll sich der Kreis am Ausgangspunkt eines großen Teils der jüngeren Geschichte von Sanktmartin schließen. Organisator Fackelmann hat um die 1000 Leute angeschrieben und zu einem Besuch nach Gerolzhofen eingeladen. Seit März ist er mit der Vorbereitung des großen Treffens beschäftigt. „Ich bin fast jeden zweiten Samstag in Gerolzhofen, das ist schon ein großer Aufwand.“ Es geht auch um viele Kleinigkeiten, etwa ob der Stadthallenwirt auch genügend Teller und Besteck für so viele Gäste hat.
Die Hotels in der Stadt und dem Umland werden während der Dauer des Treffens vollständig ausgebucht sein. Auch die Stadthalle ist zu klein, um für alle Besucher, die Fackelmann erwartet, genügend Platz zu bieten. Deswegen wird neben dem Gebäude noch ein großes Zelt aufgebaut.
Angesagt haben sich bis jetzt auch 35 Paare, die die Tracht aus der alten Heimat tragen werden. Sie werden ebenso wie Hunderte anderer Sanktmartiner am Festzug teilnehmen, der sich von der Stadthalle aus am Partnerschaftsdenkmal in der Östlichen Allee vorbei zur Stadtpfarrkirche bewegen wird.
Kirchweih der Sanktmartiner
Mindestens 500 Gäste, deren Wurzeln im rumänischen Sinmartin liegen, lassen am 21. und 22. September in Gerolzhofen, der Stadt ihrer Urahnen, ihre Kirchweihtradition wieder aufleben. Das Programm: Freitag, 21. September: Schifffahrt auf dem Main ab Volkach, danach Weinprobe in der „Alten Scheune“ in Oberschwarzach. Samstag, 22. September: 14 Uhr Kirchweihumzug, vielfach in Kirchweih- und Alttracht, von der Stadthalle zur Stadtpfarrkirche zu den Klängen der Original Banater Dorfmusikanten; 15 Uhr Messe mit Pfarrer Stefan Mai und den Pfarrern Adam Possmayer und Peter Zilich mit dem Kirchenchor Gerolzhofen in der Stadtpfarrkirche (dort saßen 1724 die Vorfahren zum Abschiedsgottesdienst, bevor sie die Reise nach Ungarn antraten); 16.30 Uhr Empfang durch Bürgermeisterin Irmgard Krammer im Alten Rathaus; 17 Uhr Verlosung des Kirchweihstraußes und Kirchweihfeier (Stadthalle).
Von unserem Redaktionsmitglied Norbert Finster